Sie und er und das Gleichgewicht


"Wir sollten wiegen gehen", meint sie irgendwie bedrückt zu ihm. Erstaunt blickt er auf sie, " dein Gewicht ist genau richtig für mich, ich mag deine Figur, wie sie ist".
"Nein, du verstehst mich falsch. Ich meine nicht unser Körpergewicht, sondern das Gleichgewicht in unserer Beziehung. Schau bitte, ich habe uns dafür eine Balkenwaage mitgebracht. Mit einer schwarzen Waagschale für alles Negative in und um uns sowie einer roten für alles Schöne. Nicht nur, weil die Waage einen Balken hat, habe ich sie da oben auch an einem gehängt und die Ketten zu den Waagschalen verlängert."
"Was du immer für Ideen hast und vor allem, welche Gedanken in dir sind, mein Schatz. Nimm es doch einfach so wie es ist und kommt." Er schüttelt überfordert seinen Kopf und eine Winzigkeit sieht sie ihn mit den Augen rollen. "Ich weiß gar nicht, wie du das meinst." Seine Augenbrauen gehen noch mehr ineinander über.
Bevor er wieder, wenn er Probleme wittert, mit seinen Scherzen anfängt, spricht sie flink weiter. "Bitte, ich erkläre es dir. Es ist schon sehr wichtig für mich". Sie bleibt ruhig dabei - in ihrer Gestik und der Stimmlage.
"Ich fülle erst die schwarze Schale und dann werden wir uns gemeinsam die rote vornehmen.
Da habe ich die vielen neugierigen Blicke und deine Unsicherheit, dass sie tiefer sichten könnten. Dein Schauen, ob dich jemand erkennt. Deine Angst vor einem Angesprochen werden, was du wohl hier und vielleicht auch mit mir tust".

Schwarz ist am sinken. Nicht viel, aber die Schale bewegt sich nach unten. Im Gegenzug hebt sich die rote Schale etwas.

"Dann gebe ich deine und meine Zeit füreinander dazu. Zeit, die nur gestohlen ist, sehr knapp, mit dem heimlichen Blick zur Uhr verbunden. Sie läuft uns immer zu schnell davon. Hinterher stelle ich mir die Frage, ob sie auch optimal genutzt wurde. Oftmals kann ich das nicht voll und ganz bestätigen. Was bleibt ist der innige Wunsch nach mehr. Doch mehr wird es nicht geben. Bedenke ich deine anstehenden Aufgaben wird sie eher viel weniger".

Der Abstand zwischen schwarz und rot wird größer. Rot bewegt sich von ihr und ihm weg.
Er krampft erschrocken ihre Hand.

"Nun lege ich auch meine Ängste noch hinein. Angst, dass die neugierigen Blicke Münder bekommen. Worte zu Ohren, in Herzen getragen werden, die dann schmerzen. Vielleicht wird dann ein Ultimatum gestellt und unsere Zeit zerbricht. Was wird dann in dir und mir kaputt gehen?" Er wirkt zerknirscht, fast schockiert: "Diese Fragen habe ich mir noch nie gestellt und ich weiß nicht, was ich dann tun werde."
"Ja, dass ist ja meine Angst, du könntest mich abwehren, am Alten festhalten. Nur da sind noch mehr Ängstlichkeiten. Könnte es einmal sein, dass ich dir zu alt werde, du eine jüngere und schönere Frau vorziehst, die dich mehr betört? Oder du meiner überdrüssig wirst? Dann ist die Angst, dir könnte irgendwas passieren. Ich würde es nicht erfahren. Wie auch? Andersherum ist dies geklärt".

Er holt tief Luft. Die schwarze Waagschale saust zu Boden, nur noch Millimeter weit vom Erdboden entfernt. Gleich wird sie den Staub berühren.

"Doch ich bin noch nicht fertig. Da sind noch meine Zweifel. Zweifel, meine Gefühle zu dir sind die stärkeren, beständiger, meine Treue steht klar und fest. Was geht aber in dir vor - auch in Zukunft?"

"Halt auf", schreit er.
Schwarz hat in dem Moment schwer die Erde erobert. Schmutzpartikel kreiseln auf. Noch immer Hand in Hand stehen die Beiden und sehen resigniert weit nach oben zur roten Schale.

Es blitzt in ihren Augen, "nun bist du mit Rot an der Reihe." Er wirkt unsicher und eine längere Sprachpause setzt ein. Tief atmend beginnt er: "Unser Lachen bringe ich da hoch".

Es wirbelt durch die Luft. Doch es schwirrt wie ein Schmetterling und setzt sich nicht schalenfest. Ein zu kleines Gekicher bleibt haften und bringt Rot nicht nach unten.

"Dann versuche ich es weiter mit meinem unerschütterlichen Bemühen um dich, mein ständiges auf dich Zugehen, das Eingehen auf deine Wünsche, dem Zerstreuen deines Wankelmutes. Ehrlich ich kann da bald nicht weiter. Zuviel kam da bereits von mir und ich zaubere das jetzt weit hoch".

Die rote Waagschale sinkt merklich einem Gleichstand entgegen.

"Bitte mach du mit der roten Schale weiter, ich möchte deinen Anteil nach all den negativen Gedanken gewertet sehen", fleht er. Ja, da ist ihre langsam gewachsene Liebe. Viel später in ihr Herz geschlüpft, als sein Liebesgeständnis. Gewehrt hat sie sich, seinen Worten nicht getraut. Schwarz zeigt eigentlich, wie sehr sie heute noch zweifelt.
Doch sie ist jetzt da, ihre große und schöne Liebe!
"Wie bekomme ich sie da hoch? Ziele ich richtig? Reicht das Schalenvolumen dafür aus? Was ist, wenn sie daneben fällt, im Dreck landet oder von dem spitzen Stein dort einfach aufgespießt wird?"
Sie schließt die Augen und wirft ihre gesamten liebenvollen, warmen Gefühle - ihre Liebe - mit Kraft Richtung roter Schale.

Getroffen!
Die Balken und somit auch die Waagschalen stehen im Gleichgewicht.

"Ich möchte aber Rot vor unseren Augen haben, darauf blicken können", spricht sie leise.
"Also, was ist mit deiner gesprochenen Liebe?"
Da kommt ein Stöhnen und Seufzen aus seiner Brust und dann…


lylo - 11. Jun, 21:32

rrrrrrot

ist auch die farbe der lylo ;-)
schön, dass du wieder mal was gepostet hast

lieben gruß dalass

fata morgana - 12. Jun, 21:34

deine geschichte gefällt mir sehr.
solche waagschalen stelle ich mir auch oft vor, und fülle sie in gedanken...

Zauberblicke - 14. Jun, 12:42

Wäre ja für mich sehr interessant,

was du und du und ihr nach meinen Abschluss ... weiter texten würdet *lächel*
Mir fehlt eben der Schluß dazu! Was würdest du denn so rein füllen?
Danke!
fata morgana - 20. Jun, 15:07

also der schluss -
um ehrlich zu sein, darum habe ich mir vor ein paar tagen, als ich den kommentar schrieb, keine gedanken gemacht.
das ende ist offen und ich finde das gut so. es bleibt platz, für eigene gedanken.

"gesprochene liebe" -
...vielleicht "schafft" er es ja seit langer zeit wieder, ihr die drei kleinen worte zu sagen, auf die sie so lange gewartet hat...
oder aber, dieses gespräch ist für beide wieder der "einstieg" um miteinander zu reden...


jetzt wieder du ! :-)

Zauberblicke - 20. Jun, 22:39

Hallo FM,

der Schluss ist in der Tat sowas von offen... ;-)
Zwischen gesprochener und Liebe mit eindeutigen Taten/Positionen liegt viel.
Sie möchte keine Worte in die Liebesschale geworfen haben, sondern eben
diese Beweise. Ich werde den Schluss dazu schreiben - später. Ehrlich, wie das Leben ist und sich zeigen wird. Es kann noch dauern.

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